Der Horst

Nun ist es also so weit: Ich habe die Geschichte fertig geschrieben. Ich bitte den Stil zu entschuldigen, denn ich bin da in eine komische Art zu schreiben reingerutscht. Wie dem auch sei, die Geschichte trägt den Titel „Der Horst“:

 

Der Horst

Der Horst war immer schon fleißig. Das war eine Eigenschaft, mit der er sich auch immer gerne selber identifiziert hat, der Horst. Immer, wenn ihn jemand gefragt hat, ob es ihm denn heute gut geht, mit seiner Situation, dann hat der Horst gesagt: „Mein Gott, ja. Eigentlich schon.“ Und wenn ihn jemand gefragt hat, was es denn seiner Meinung nach gebraucht hat, um dahin zu kommen, wo er jetzt ist, da hat der Horst nur geantwortet: „Man muss halt fleißig genug sein, dann kann das ein jeder schaffen.“ Doch warum der Horst wirklich dahin gekommen ist, wo er jetzt schlussendlich angekommen ist, das hat er selber nicht mehr so genau gewusst. Er hat sich nur noch an ein paar prägende Erlebnisse auf seinem Weg erinnern können.

Ursprünglich hat der Horst eigentlich gedacht,  weil er immer so schön fleißig ist,  –  das hat er immer geglaubt –  dass er es schon zu was bringen wird, auf dieser Welt. Das war sowas wie seine Lebenseinstellung. Ganz früher, als der Horst noch ein kleiner Bub war, da hat ihm sein Vater immer gesagt: „Horst!“, hat er gesagt, „Du musst immer schön fleißig sein, damit auch schön was aus dir wird, Horst!“ Schön. Wie soll man denn eigentlich „schön“ fleißig sein? Das hat sich der Horst immer gefragt. Fleißig sein, in Ordnung, das kann man ja machen. Aber dann auch noch schön? Ob das nicht irgendwie eine Art Euphemismus ist? Ob der Horst damals, als er noch so klein war, schon gewusst hat, was ein Euphemismus ist, da ist er sich heute nicht ganz so sicher, aber der Grundzweifel an dem Ausdruck „schön fleißig“, der war ganz sicher da.

Als der Horst in die Schule gekommen ist, da ist die Frau Lehrerin bald drauf gekommen, dass der Horst zwar ein lieber Bub war, aber er sich bei den ganzen Schulaufgaben schon ein bisschen schwer getan hat. Sie hat ihn aber immer fördern wollen, weil sie so eine engagierte Lehrerin war. Eine Lehrerin, die, obwohl man das ja nicht so wirklich machen soll, immer eine Art Beziehung zu ihren Schülern aufgebaut hat. Sie wollte halt wirklich, das was Ordentliches wird, aus den kleinen Menschen, deren Leben sie da so entscheidend mitprägen darf. Und so hat sie auch zum Horst eine Beziehung aufgebaut, eine kleine. Die Frau Lehrerin hat dem Horst immer geholfen, wenn er sich verrechnet hat und sie hat ihm auch gesagt, dass er immer viel lesen soll, dann wird sich seine kleine Rechtschreibschwäche schon geben. Weil die Lehrerin so nett war und der Horst was Gescheites werden wollte, hat er halt am Nachmittag immer mehrere Hausaufgaben gerechnet und übers Jahr hinweg immer ein Buch extra gelesen. Ganz fleißig eben.

Nach den ersten vier Schuljahren ist der Horst in die nächste Schulstufe aufgestiegen. Da war dann auf einmal nicht mehr die liebe Lehrerin, die es immer honoriert hat, wenn der Horst eine Aufgabe mehr gerechnet hat, oder einen überlangen Aufsatz geschrieben hat,  sondern der alte, grantige Oberlehrer. Den Oberlehrer hat der Horst nie so richtig leiden können. Vielleicht ist das an seinen dicken Brillen gelegen, die so einen komischen schwarzen Rand an der Oberseite der Brillengläser gehabt haben. Der Rand war so dick und schwarz, dass sich der Horst immer gedacht hat, dass der Oberlehrer wahrscheinlich sein Lebtag nur böse dreingeschaut hat. „Und wenn er einmal stirbt, der Oberlehrer, dann werden sie ihn sicher mit seinen dicken schwarzrandigen Brillen begraben.“, hat sich der Horst ausgemalt. Je weiter der Horst in der Schule gekommen ist, umso schwerer hat er sich getan bei den ganzen Aufgaben, die der Oberlehrer ihm abverlangt hat.  Immer, wenn der Horst zu Hause seinem Vater gesagt hat, dass er sich so schwer tut, dann hat der immer nur geantwortet: „Na, du musst halt ordentlich fleißig sein, mein Sohn.“ Jetzt hat der Horst natürlich gewusst, dass er immer „schön fleißig“ sein muss, aber „ordentlich“? Kann man eigentlich unordentlich fleißig sein? Oder impliziert die Unordnung nicht ohnehin schon, dass man eben gar nicht fleißig gewesen ist? Und so hat der Horst angefangen nicht nur fleißig, sondern auch ordentlich zu sein. Er hat sich immer in der Früh frisiert und geschaut, dass sein Hemd nicht so verknittert ist, wenn er in die Schule geht. Und alle Hefte, die er in der Schule beschrieben hat, auf die hat er so gut aufgepasst, dass  sie niemals Eselsohren gehabt haben. Ordentlich fleißig, war er, der Horst.

Kurz nachdem der Horst Fünfzehn geworden ist, da hat er dann die Schule fertig gehabt. Das Zeugnis, das war nicht das Beste. Besonders in Mathematik ist er nur knapp positiv gewesen, aber immerhin eben nicht durchgefallen. Als er ihm das Zeugnis überreicht hat, der Oberlehrer, da hat er gesagt: „Horst, ich habe dir wo immer es möglich war, die bessere Note gegeben, weil du immer so schön ordentlich und so fleißig warst. Dein Einsatz war echt Wahnsinn.“  Da hat sich der Horst zwar einerseits gefreut, dass auch der alte, grantige Oberlehrer einen Sinn für seinen Fleiß gehabt hat, aber irgendwie haben ihn die Worte auch verwirrt. Zu den ihm so bekannten Adjektiven „schön“, „ordentlich“ und „fleißig“, hat sich auf einmal der Wahnsinn dazugesellt. Das hat der Horst nicht so richtig einordnen können, damals mit fünfzehn, als der die Schule fertig gehabt hat. Denn immerhin ist er jetzt mit „ordentlich schön fleißig sein“ bis dahin gekommen, wo er war und er war eigentlich gar nicht so unglücklich damit. Also hat der Horst das mit dem Wahnsinn gleich wieder verdrängt und hat sich gefreut, endlich einen Beruf lernen zu können.

Bald schon, da hat der Horst eine Lehrstelle bei einem Kunsttischler gefunden. Das hat ihm gleich imponiert, wie der alte Tischlermeister da in der Werkstatt gestanden ist und mit seinen Werkzeugen kunstvolle Verzierungen und Reliefs in das Holz gezaubert hat. Am ersten Tag der Ausbildung hat der Horst dann gehört, dass er nicht alleine beim alten Tischlermeister lernen wird, sondern dass auch ein zweiter Lehrling an seiner Seite den langen Weg zum Holzverarbeitungskünstler beschreiten wird. Sein Name, das wird der Horst niemals vergessen, der war Jakob. Die zwei Burschen haben sich eigentlich ganz gut verstanden, der Horst und der Jakob. Doch wo der Horst sich immer treu geblieben ist und auch beim alten Tischlermeister immer ordentlich und schön fleißig war, da hat sich der Jakob als weniger engagiert erwiesen. Er ist in der Früh gern mal ein paar Minuten zu spät gekommen, oder hat in der Mittagspause ein kleines Schläfchen abgehalten und war dann am Nachmittag ganz verschlafen, der Jakob. Insgeheim hat sich der Horst schnell gedacht, dass der Jakob so nicht weit kommen wird, beim alten Tischlermeister. Aber der Jakob hat es verstanden, sich gut mit allen Leuten anzufreunden und der Jakob war ein irrsinnig talentierter Holzverarbeiter. In den einzelnen Hölzern hat er die Unterschiede in der Maserung wahrnehmen können, die beste Schnittrichtung herauslesen und die Eignung zur Weiterverarbeitung abschätzen. Das hat den alten Tischlermeister mächtig beeindruckt, sodass sogar der Horst irgendwie ins Hintertreffen geraten ist. Und das obwohl er so schön fleißig war und auch immer ordentlich die Werkstatt aufgeräumt hat.

Mit den Jahren, da ist der Horst immer neidischer geworden auf den Jakob. Obwohl er sich noch so sehr angestrengt hat und immer sein Bestes gegeben hat, war doch immer der Jakob, der doch so überhaupt nicht die Ideale vom Horst erfüllt hat, der beste Lehrling im Betrieb.  Nach einigen wirklich sehr ermüdenden Monaten, als der Horst immer fleißiger geworden ist und auch immer schön ordentlich war, da hat er dann den Hut drauf gehaut. Und das war ganz wörtlich zu verstehen. Er ist zum Jakob hingegangen und hat im mit voller Wucht seine schöne weiße Tischlerkappe ins Gesicht gepfeffert. „Zack!“ Ganz kurz, hat der Horst eine echte Befriedigung gefühlt. Er ist sich stark und gerecht vorgekommen. Aber nur ganz kurz. „Horst!“, hat ihm der alte Tischlermeister von hinten direkt ins Ohr gebrüllt, „Horst, das war absolut unnötig!“ Und weil der Tischlermeister Gewalt irgendwie immer schon verabscheut hat und Neid und Missgunst sowieso und weil er ein ganz ein guter Menschenkenner war und den Horst eigentlich schon immer gut einschätzen hat können, da hat er den Horst einfach rausgeschmissen. „Bumm!“ Die Tür des Betriebs ist hinterm Horst ins Schloss gefallen und auf einen Schlag war es aus mit seiner Kunsttischlerlaufbahn. In diesem Moment hat sich der Horst ungerecht behandelt gefühlt. Nur weil er einmal die Fassung verloren hat, obwohl er die ganze Zeit über so fleißig war und immer alles gemacht hat, was man von ihm verlangt hat, da ist er trotzdem so behandelt worden. Ungerecht.

Dann ist er die Straße runtergegangen, der Horst. Er hat noch immer die Kunstischlermontur, abzüglich der weißen Kappe angehabt und hat so vor sich hin sinniert. „Es sollte sich lohnen, so richtig fleißig zu sein.“, waren ungefähr die Gedanken vom Horst in diesem Moment. „Es kann doch nicht so verkehrt sein, wenn man immer sein Bestes gibt und die Dinge, die eine obere Instanz anschafft, so gut wie möglich ausführt. Früher hab ich doch auch mit Fleiß die Lehrer beeindrucken können.“ Auf einmal hat sich der Horst allein gelassen gefühlt. Eine tiefe Unsicherheit hat ihn da befallen. Er war sich gar nicht mehr sicher, welche Ideale er nun für richtig halten soll und ob diese komischen Adjektive „fleißig“  und „ordentlich“, die sein ganzes Leben bestimmt haben, auch wirklich so gut mit dem „schön“ zusammenpassen. Den  Wahnsinn, den der grantige Oberlehrer ihm am letzten Schultag im Zusammenhang mit seinen vertrauten „schön ordentlich“ und „fleißig“ zusammen vorgetischt hat, den hat er mittlerweile vergessen gehabt.

Als der Horst um die nächste Ecke gebogen ist, da ist ihm gleich die Menschenmenge aufgefallen, die da gestanden ist. „Komisch“, hat sich der Horst im ersten Moment gedacht, „warum sind auf einmal so viele Leute auf der Straße?“. Schon nach ein paar Schritten hat der Horst feststellen können, warum. Mitten auf der Kreuzung ist ein Mann auf einem kleinen Podest gestanden und hat geschrien. Zuerst war sich der Horst nicht sicher, ob er dem Mann überhaut Gehör schenken sollte, oder ob er einfach umdrehen sollte. Aber plötzlich ist der Horst hellhörig geworden. „Fleißig sein muss sich auszahlen!“, hat der Mann da gerufen. Das hat dem Horst sofort gefallen und so hat er sich entschlossen, doch ein bisschen hier zu bleiben und dem Geschrei des Mannes ein bisschen zu lauschen. Obwohl sich der Horst gedacht hat, dass der Mann ein bisschen lustig aussieht, mit seiner seltsamen Frisur. „Aber immerhin“, hat der Horst so zu sich selbst gesagt, „Immerhin schaut der wirklich ordentlich aus, frisch rasiert und schön frisiert und er trägt ein frisch gebügeltes Hemd.“ Also hat der Horst ein bisschen genauer hingehört und er hat seinen Ohren kaum trauen können: Der Mann hat doch wirklich die ganze Zeit von Ordnung, Fleiß, Tugendhaftigkeit und solchen Dingen gesprochen. Das waren doch genau die Dinge, die der Horst immer vom Vater gehört hat. Dann hat der Mann auch noch gesagt, wie schön es hier sein könnte, wenn alle nur recht fleißig und schön ordentliche Bürger wären, die immer allen Gesetzen folgen würden. Jetzt war er sich ganz sicher, der Horst, dass der Mann ihm aus der Seele spricht. Er hat sich immer weiter vorgedrängt, um noch näher bei dem mysteriösen Sprecher zu sein. Die Menge hat gekocht in Ihrer Stimmung, die der Mann da vorne so gekonnt angeheizt hat. Er hat von „uns“ gesprochen, und dass „sie“ gegen „uns“ sind. Das hat dem Horst gefallen. „Sie“, das müssen doch die sein, die nicht fleißig sind und sich nicht an Abmachungen halten, die keine ordentlichen Arbeiter sind und ungerechterweise trotz Faulheit immer weiter kommen im Leben. All das hat der Horst da hineininterpretiert. „Ja“, hat sich der Horst voller Zuversicht gedacht, „der Mann hat doch eindeutig recht.“ Und dann, als der Mann da vorne seine flammende Rede für mehr Ordnung und Fleiß beendet hat, da haben alle Leute ihm zugejubelt. Und der Horst hat mitgejubelt.

Sein ganzes Leben lang wird er diesen Tag nicht vergessen, diese Stimmung und diese Zuversicht, die dieser Mann ausgestrahlt hat. Da hat er geglaubt, dass jetzt alles gut werden würde und dass ab jetzt alles gelingen würde. Und weil er so zuversichtlich war, da hat er gar nicht gemerkt, dass er nur ein bisschen an den Oberlehrer denken hätte müssen, der ihm damals schon alle diese Worte, die der Mann da vorne verkörpert hat, zusammen auf dem Silbertablett serviert hat: „ordentlich, fleißig und  mit wahnsinnigem Einsatz“. Aber an das hat der Horst nicht gedacht, sondern er hat nur mit den anderen mitgeschrien. Denn der Horst hat schnell verstanden, dass man, wenn man etwas gut findet, das auch fleißig unterstützen muss.

So hat der Horst beschlossen, dass er jetzt, wo er doch genügend Zeit hat, die Ideen von diesem ordentlichen fleißigen Mann verbreiten und umsetzen kann. Um dieses bewerkstelligen zu können, hat sich der Horst am nächsten Tag auf die Straße begeben und versucht, auch so schöne Reden zu halten. Direkt an eine Fußgängerzone hat sich der Horst gestellt, dort, wo auch jeden Tag genügend Menschen vorbeigehen würden. Dann hat er angefangen zu reden. Ohne wirklich zu wissen, was er denn da sagen will, der Horst, ist er da gestanden, direkt in der Fußgängerzone, vor einer öffentlichen Sitzgelegenheit und hat losgesprochen. Zu Beginn war das noch recht holprig und fast ein bisschen unbeholfen, aber nach ein paar Minuten schon, hat er gemerkt, dass die meisten Leute sowieso nicht stehen bleiben, geschweige denn ihm zuhören.  Also hat der Horst seine Inhalte auf ein paar einprägsame Sätze zusammengekürzt und diese immer besser ausformuliert. Mit jeder Wiederholung haben sie ihm besser gefallen, diese Inhalte, und mit jedem neuen Zyklus ist er leidenschaftlicher geworden. Wie er da so gestanden ist und geredet hat, der Horst, sind mit der Zeit immer wieder Leute stehen geblieben und haben ihm zugehört. Aber eines ist dem Horst schon ein bisschen komisch vorgekommen: die Leute haben ihm gar nicht zugejubelt, sondern haben eigentlich nur miteinander geredet. Deren gegenseitiges Geflüster war gar nicht wirklich wichtig, weil es rund um den Horst herum sowieso ziemlich laut war, wie das in der Stadt halt so ist. Aber irgendwie hat sich der Horst gedacht, dass sie immer lauter werden, die Stimmen der vielen Leute, die da um ihn herumstehen. „Diese Unmenschen.“, hat sich der Horst gesagt, „ Die wissen gar nicht zu schätzen, was ich da sagen will. Die  glauben, dass sie was Besseres sind, weil sie meinen Fleiß und meinen Einsatz gar nicht nötig haben. Die haben ja keine Ahnung davon, wie das ist, wenn man immer fleißig ist und das niemand honoriert.“

Auf einmal haben die Menschen aufgehört, zu tuscheln und haben stattdessen ihre Blicke auf den Horst gerichtet. Aber sie haben ihn nicht nur angesehen, sondern ein paar haben auch ihre Augenbrauen gehoben, haben ganz überraschte Gesichter gemacht. Ein paar haben auch wissend gegrinst und wieder andere sind nach ein paar Sekunden einfach weitergegangen.  „Was ist bloß mit den Leuten los? Ich kann das kaum nachvollziehen, was hier passiert. Dem fleißigen Mann damals haben doch immer alle zugejubelt…“, hat sich der Horst gedacht. Plötzlich hat der Horst eine Hand auf seiner Schulter gespürt. Ein fester Griff, aus dem es kein Entkommen zu geben scheint, hat den Horst gepackt und langsam hat sich eine Gestalt neben dem Horst aufgebaut. „Wer das wohl ist?“, hat sich der Horst gefragt. „Das ist unerheblich. Ich will ihnen nur helfen.“, hat die Gestalt geantwortet.  Da ist der Horst erstarrt und sofort hat er sich die einzig sinnvolle Frage zu diesem Zeitpunkt gestellt: „Wie kann dieser Mann auf meine Gedanken antworten?“ „Nun.“, hat der Mann gesagt,  „Ihre Gedanken haben Sie aber ganz schön laut gedacht, die letzten paar Stunden in dieser Menschenmenge.“  Links vom Horst ist eine zweite Gestalt aufgetaucht. Dann ist alles ganz schnell gegangen: Jede von diesen Gestalten hat einen Arm gepackt und sie haben ihn zu Boden gedrückt, den Horst. Zuerst hat er sich noch gewehrt und wollte um sich schlagen, aber bald ist ihm klar geworden, dass die Beiden da viel kräftiger sind als er und dass er da überhaupt keine Chance hat. Also hat er nur noch schreien können. Aus tiefster Kehle hat er geschrien, der Horst: „Hilfe, Zeter, Mordio! Man will mich strafen, weil ich fleißig bin! Unrecht, Falschheit, Faulheit!“  Ganz interessiert haben die Leute wieder zugeschaut, wie der Horst von den beiden Gestalten mitgenommen worden ist. Dann war der Spuk vorbei. Die Menschen haben sich wieder zerstreut und sind wieder ihrer Tagesbeschäftigung nachgegangen.  Was da passiert ist, das werden sie in ein paar Tagen schon wieder vergessen haben.

Und der Horst? Den haben sie mitgenommen. Wehren hat er sich ja nicht wirklich können, als sie ihn festgeschnallt haben. Und wehren hat er sich auch nicht können, als sie ihm die erste Spritze verpasst haben. Aber ganz kurze Zeit danach, da war auf einmal alles egal. Es hat ihm nichts mehr ausgemacht, dass seine Gliedmaßen alle fixiert waren und dass er in Wahrheit gefangen war. Gedacht hat der Horst zu dem Zeitpunkt nichts mehr. Nur mit leerem Blick hat er aus dem Fenster gesehen.

Wie lange der Horst nichts gedacht hat, das kann er heute nicht mehr sagen. Aber es muss eine ganz schön lange Zeit gewesen sein. Grundsätzlich ist ihm das auch nicht so wichtig, wie lange er pausiert hat. Seit kurzem, da spricht er wieder seine gut ausformulierten einprägsamen Sätze. Er  predigt wieder davon, schön fleißig zu sein, so wie er das auch vor dem kleinen Zwischenfall mit den Gestalten links und rechts getan hat. Und Zuhörer hat er auch wieder, allerdings sind die alle anders gekleidet als früher. Sie haben jetzt komische weiße Mäntel an und sind meistens nur zu zweit. „Ach was“, denkt sich der Horst „ Hauptsache es kommen überhaupt zwei Zuhörer.“ Also könnte man sagen, dass er fast glücklich war, der Horst. Manchmal, eigentlich fast täglich, da fragt ihn einer der Zuhörer, ob es ihm denn heute gut geht, mit seiner Situation. Und die Antwort, die der Horst gibt, die ist auch jeden Tag dieselbe: „Mein Gott, ja. Eigentlich schon.“

„Sagen Sie, Herr Doktor, woran leidet dieser Mann?“

„Eine Fleißvergiftung hat er, der Horst…“

Über Lukas

Ich bette meine Gedanken zur Ruhe, sobald ich sie nicht mehr brauche. Aber auch wenn man Dinge nicht mehr braucht, ist es ganz hilfreich, wenn man sie archivieren und irgendwann wiederherstellen kann.
Dieser Beitrag wurde unter Kurzgeschichten veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.